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Peter Bieri

 

Die Werke von Peter Bieri = Pascal Mercier

Der Klavierstimmer

Roman, Erstauflage 1998, München, Albrecht Knaus Verlag, 509 Seiten

[Aus dem Klappentext] Ein berühmter italienischer Tenor wird während der Aufführung von Puccinis "Tosca" auf offener Bühne erschossen. Die Kinder des Täters, die Zwillinge Patrice und Patricia, reisen nach Berlin, um zu verstehen, wie es zu dieser Tat kommen konnte. Schicht für Schicht legen sie die Beweggründe frei, die ihren Vater, einen legendären Klavierstimmer und glücklosen Opernkomponisten, zur Waffe greifen ließen.

Jahre zuvor waren sie vor ihrer inzestuösen Liebe in verschiedene Hemisphären geflohen. Ihr Wiedersehen und die zunächst unbegreifliche Tat des Vaters führen dazu, daß sie ihre Sprachlosigkeit beenden und aufschreiben, wie sie ihre einstige Intimität erlebt haben. Ein befreiender Prozeß des Erinnerns beginnt.

[Aus die-leselust.de] 6 Jahre lang hatten sich die Zwillinge Patrice und Patricia nicht mehr gesehen - und nun wurden sie wieder nach Berlin gerufen, da ihr Vater angeblich während einer Vorstellung der "Tosca" den Tenor erschossen hätte. Ein Gedanke, der beiden völlig unfaßbar erscheint.

2 Wochen später reist Patricia wieder ab nach Paris - mit dem Versprechen, ihre Geschichte, ihre Gedanken und auch den Grund für die überstürzte Abreise von damals, von vor 6 Jahren, aufzuschreiben.

Auch Patrice hat versprochen zu schreiben - und eigentlich wollte er auch sofort aufbrechen, zurück nach Chile. Doch zuvor möchte er nun doch nachholen, was er zu Lebzeiten des Vaters versäumt hat: sich mit dessen Musik auseinanderzusetzen, die Opern anzuhören, die dessen ganzer Lebensinhalt waren.

Das Aufschreiben der gemeinsamen Geschichte der Zwillinge soll vor allem auch einem Zweck dienen: sich voneinander abzugrenzen, die Nähe zwischen ihnen, die sie beinahe zu zerstören drohte, zu lockern.

Schicht für Schicht kommt nicht nur die inzestuöse Liebe der Geschwister ans Tageslicht….

Würde dieses Buch nur die Abgrenzung der Zwillinge voneinander zum Inhalt haben - ich würde es vorbehaltlos meinen Lieblingsbüchern zuordnen.

Wie der Autor es hier zuwege bringt, einerseits eine beängstigende Nähe aufzuzeigen, die dem einen nicht genug, der anderen zuviel ist - soviel, daß sie fürchtet, sich darin zu verlieren; und andererseits den Prozeß des Ablösens zu zeigen, darzustellen, wie sie an ihren jeweiligen Orten beginnen müssen, alles nur noch für sich zu sehen, die Eindrücke nicht mehr teilen zu können - das gehört zum Besten, was ich diesbezüglich seit einer sehr, sehr langen Zeit gelesen habe.

Die innere Verbundenheit, die immer noch, auch ohne eine Form von Kontakt, da ist - und gleichzeitig sich nicht mehr an das Lachen des anderen erinnern können, das sind nur einzelne Facetten, die hier gezeigt werden.

Wunderbar war es auch zu sehen, wie Schritt für Schritt auch klar wird, daß es schon früher vieles gab, was trennte, daß der Riß nicht erst in jener schicksalhaften Nacht des Abiturballs entstand, sondern schon sehr viel früher begann, auch in der unterschiedlichen Behandlung durch die Eltern zu suchen ist.

Aber, und hier liegt für mich das große Manko dieses ansonsten so gelungenen Romans - aber es gibt ja auch noch eine Rahmengeschichte. Schließlich hat es da ja eindeutig einen Schuß gegeben, der tödlich war. Und die Hintergründe für diese Tat müssen ja auch noch klargelegt werden - was ich hier natürlich nicht darf, da ich ja die Spannung nicht wegnehmen kann. Aber eines doch schon an dieser Stelle: es ist alles sehr melodramatisch, tragisch und gespickt von Todesfällen.

Schade ist das auch deshalb, weil sich hier für mich die Funktion der Schreibhefte der Zwillinge nicht mehr bewährt; zwar wird dadurch auch hier die Sachlage von zwei Standpunkten aus geschildert. Aber es ist trotzdem ganz klar, daß der Adressat plötzlich nicht mehr der geliebte Zwilling, sondern der Leser ist.

Wer nun Lust auf diesen wirklich hervorragend erzählten Roman bekommen hat, sich dann aber durch die verzwickten Familienverhältnisse doch nicht durcharbeiten will, kann mich gerne um Aufklärung bitten - der Rest des Buches lohnt sich allemal!